Montag, 24. März 2008

Erlebt Oaxaca bald einen zweiten politischen Frühling?

Im Mai 2006 traten 70.000 Lehrerinnen und Lehrer im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca in einen unbefristeten Streik. Nach massiven Angriffen der Polizei auf die Streikenden solidarisierte sich fast die gesamte Bevölkerung Oaxacas mit den kämpferischen Lehrerinnen und Lehrern.

Während die Streikenden anfangs bessere Löhne für sich und Schulspeisungen für ihre Schüler forderten, löste der Angriff der brutal vorgehenden Polizei einen breiten Aufstand aus. Die Bevölkerung besetzte Regierungsgebäude, Radiostationen und die Universität; sie vertrieben den verhassten Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz und seine Regierungsbeamten. Monatelang nahmen die Menschen von Oaxaca ihr Leben in die eigenen Hände, was internationale Solidarität hervorrief.

Das Besondere an den Ereignissen in Oaxaca war die Selbstorgansiation der Menschen im Volks- und Arbeiterrat APPO – der Volksversammlung der Völker von Oaxaca – in dem mehr als 350 Organisationen mit ihren Delegierten vertreten waren. Dieser Rat wurde nach basisdemokratischen Prinzipien, einer jederzeitigen Abwählbarkeit der Delegierten und der Kontrolle aufgebaut. Die Delegierten wurden den Beschlüssen ihrer Basis verpflichtet, und nicht ihrem "Gewissen".

Vorerst wurde der Aufstand blutig niedergeschlagen. Die Herrschenden schreckten nicht vor Mord, Folter, Vergewaltigungen und Verhaftungen zurück. Jedoch formiert sich die Bewegung um Forderungen wie der nach der Freiheit für die politischen Gefangenen neu und bereitet ein "Forum zur Verteidigung der Rechte der oaxakenischen Völker" vor, das am 9. und 10. April 2008 im Gewerkschaftshaus von Oaxaca-City stattfindet.

In Dresden finden im April drei Veranstaltungen statt, die sich mit den sozialen Konflikten in den Bundesstaaten Atenco, Chiapas und Oaxaca beschäftigen:

Im Programmkino Casablanca zeigt der Film "Oaxaca - zwischen Rebellion und Utopie", wie sich Hundertausende im Sommer 2006 zu einem friedlichen Aufstand erhoben, nachdem gewerkschaftliche Proteste gewaltsam unterdrückt werden (10.04., 20 Uhr, OmU, 3.-/2,50€).

Dass die Bevölkerung in der südmexikanischen Stadt -- allen voran die Frauen -- dabei Radiostationen übernahmen und ein TV "von unten" sendeten, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen, dokumentiert der preisgekrönte Film "A little bit of so much truth", ebenfalls im Casablanca (16.04., 20 Uhr, OmeU, 3.-/2,50€).

Außerdem berichten zwei deutschsprachige Frauen (Prof. Raina Zimmering und Regine Brosius) von ihrer Delegationsreise als internationale Menschenrechtsbeobachterinnen nach Chiapas, Oaxaca und Atenco im vergangenen Februar. Wie »Menschenrechte a la mexicana« gegenwärtig schmecken, stellen sie im Kulturrathaus Dresden vor (29.04., 19:30 Uhr, Eintritt frei). Die Themenreihe "Contra el Olvido -- Gegen das Vergessen" wird von der Amnesty International Hochschulgruppe Dresden, dem Entwicklungspolitischen Netzwerk Sachsen und promovio e.V. veranstaltet.

Über weitere Einzelheiten berichtet eine Information des Vereins "promovio e.V.":

Inmitten eines Klimas der Unterdrückung gibt es erste Anzeichen dafür, dass sich die soziale Bewegung von der Basis her reorganisiert

Fast zwei Jahre sind vergangen, seit die Regierung im südmexikanischen Bundesstaates Oaxaca begann, die sozialen Proteste verschiedener Organisationen und der Lehrergewerkschaft mit äußerster Gewalt zu unterdrücken. Nun, zum 89. Tag der Ermordung des Sozialrevolutionärs General Emiliano Zapata, rufen verschiedene Organisationen dazu auf, den Widerstand neu aufzubauen. Dazu soll ein Treffen dienen, das den Titel "Forum zur Verteidigung der Rechte der oaxakenischen Völker" trägt und am 9. und 10. April 2008 im Gewerkschaftshaus von Oaxaca-Stadt über die Bühne gehen wird.
Zu dem Kongress laden verschiedene indigene und soziale Basisorganisationen aus den sieben Regionen des Bundesstaates ein, wie bspw. OIDHO, CODECI und UCIZONI. Unter den Initiatoren finden sich aber auch autonome Gemeinden wie z.B. aus San Pedro Yosotatu oder San Juan Copala, Zusammenschlüsse von Studierenden und Freien Radios sowie ein Komitee zur Verteidigung politisch Gefangener.

Folgt man den Aufrufenden, so hängen die anhaltenden massiven Verletzungen bürgerlicher Rechte und die Kriminalisierung des sozialen Protests direkt mit der Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen einer kleinen Minderheit zusammen. Dieses Bestreben werde von staatlichen Institutionen gestützt. Ländereien, Wasser, Erze und die Biodiversität würden mehr und mehr zur Beute großer Unternehmen. Um sich diese Ressourcen einzuverleiben, bedienten diese sich korrupter Funktionäre. Jene Gemeinden, sie sich hiergegen wehren, würden ihrer Rechte beraubt. Ihre Repräsentanten würden festgenommen oder strafrechtlich verfolgt. Dies geschehe, um Druck auf die Gemeinden auszuüben, damit die Enteignungen der kollektiven Ressourcen leichter vorgenommen werden könnten.

Die aufrufenden Organisationen sehen die Situation, in der sich die sozialen Bewegungen befinden, äußerst kritisch. Auf nationaler Ebene befänden sich Initiativen wie bspw. die "Andere Kampagne" oder die "Convención Nacional Democrática" in einer Phase der Stagnation oder der teilweisen Konsolidierung. In Oaxaca selbst herrsche nach wie vor ein Klima der Unterdrückung. Aktuell besäße die Bewegung dort nicht die Stärke, Festnahmen zu verhindern oder gar eine große Initiative voranzutreiben, mit der die Rechte der Völker und Dörfer verteidigt werden könnten. Dennoch sehen die Initiatoren des Forums auch, dass nach wie vor viele Organisationen und Völker dem Klima von Gewalt und Einschüchterung standhielten. "Es sind viele, die nach wie vor kämpfen. Wir machen weiter, weil wir unsere unabhängigen Organisationsformen aufrecht erhalten wollen, die auf einer neuen politischen Praktik beruht: einer Praxis ethischer Werte, die immer bestrebt ist, die lokale, regionale und nationale Einheit zu erhalten. Wir verteidigen unsere Territorien und wir streiten für die politische Emanzipation des Volkes."

Angesichts dieses Szenarios soll das Forum am Gedenktag des Nationalhelden Zapata dazu dienen, die breite soziale Bewegung zu reorganisieren und zu stärken. Dabei werden vier Themen im Vordergrund stehen:
(1) Informationsverbreitung in den Gemeinden und alternative Medien (freie Radios, Pressearbeit)
(2) Verteidigung der natürlichen Ressourcen in den Gemeinden (Land, Wasser, Biodiversität, Luft, Wälder, Strom, Öl)
(3) Unterdrückung der Menschenrechte und der Grundrechte (politische Gefangene, Haftbefehle, "Verschwundene")
(4) Organisation der sozialen Bewegung in Oaxaca (Aufbau einer neuen Organisationform vom Volk her für das Volk).

Nach der Zerschlagung der sozialen Protestbewegung Ende 2006 und der weitgehenden Zersplitterung des Sammlungsbeckens APPO (Volksversammlung der Völker Oaxacas) im Laufe des vergangenen Jahres ist es dringend notwendig, dass frische Kräfte mobilisiert werden und einen Rahmen gefunden wird, der von Bürgerinnen und Bürger aus Land und Stadt getragen wird. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Vorstoß dazu beiträgt, entsprechende Organisationsformen zu schaffen, die eine wirkliche politische Partizipation der Basis ebenso erreicht wie die gemeinsame Perspektive zur Verteidigung der Menschenrechte in Oaxaca.

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